Austria Nachrichten
Letzten Juni waren wir eine Woche in den Südwestalpen an der italienisch-französischen Grenze unterwegs. Unten in der Po-Ebene hatte es schon über 40°C, während uns oben auf den Bergen neben angenehmen Temperaturen üppig blühende Wiesen und Almen erwarteten. Im Tal waren viele Pflanzen wegen der Hitze schon früh verblüht, doch hier oben war alles in einem Farbenrausch.

Wir fanden Hänge voll rosa blühendem Almrausch, Wiesen mit Stengellosem Enzian und bunte Weiden mit Trichterlilien, Läusekraut, Hahnenfuß und verschiedenen Glockenblumenarten. Begeistert fotografierten wir auf unseren Wanderungen und Fahrten die blühende Flora.



Natürlich bieten die Westalpen durch ihre starke Strukturierung eine Vielzahl von Lebensräumen. Wer mit offenen Augen unterwegs ist, wird bald unterscheiden lernen, wo welche Pflanzen am häufigsten vorkommen, welche Pflanzen in Schneemulden leben, warme Südhänge bevorzugen oder selbst auf windumtobten Graten ein extremes Dasein fristen. Es gibt eine Reihe von Faktoren, die das Kleinklima bestimmen, das viel wichtiger für das Fortkommen einer Pflanze ist als das Großklima.

Auch Großklima und Witterung sind natürlich innerhalb der Alpen sehr unterschiedlich, insbesondere in den Südwestlichen Alpen, wo in der Nähe der Küste der mediterrane Einfluss sehr spürbar wird.



Die Gebirge: Wir haben uns meist in der Nähe der italienisch-französischen Grenze in folgenden Teilen der Westalpen bewegt:

  • Seealpen: Die Seealpen grenzen im Westen an die Provençalischen Alpen und reichen im Nordosten bis Cuneo (Italien).

  • Provençalische Alpen: Westlich der Seealpen gelegen befindet sich hier der Grand Canon du Verdon, die größte und längste Schlucht Europas. Diese Gegend beherbergt einige extrem seltene Endemiten.

  • Cottische, Dauphiné- und Grajische Alpen: Sie schließen sich nach Norden hin an zwischen Cuneo, Susa und Barcelonette. Auch hier gibt es zwischen Col de Vars, Col d'Izoard, Col du Lautaret und Col du Galabier eine Reihe von endemischen Pflanzen. Der Mont Cenis gibt einigen Pflanzen seinen Namen (Mont-Cenis Glockenblume, Veilchen und Kohlröschen).

    Der Mercantour-Nationalpark, der Vanois Nationalpark und der Nationalpark Les Ecrins sind die größten und bekanntesten unter Schutz gestellten Gebiete dieser Region.

Gesteinsuntergrund: Kalk- u. Silikatflora

Die für Alpenpflanzen wesentliche Standortfrage lautet: Kalk oder Silikatboden.

Das ist ein richtiger Gegensatz. Wenige Pflanzen kommen mit beiden Bodenarten gleich gut zurecht, viele sind Spezialisten für die eine oder andere Bodenart.

Auf den alkalischen Kalkböden haben die Pflanzen Schwierigkeiten bei der Versorgung mit lebenswichtigem Kalium, Phosphor und Eisen.

Auf den sauren Silikatböden hingegen sind sie mit den meisten Nährstoffen gut versorgt, diese können von den Pflanzen leicht aufgenommen werden, aber sie können auch leicht wieder ausgewaschen werden, während die Pflanzen auf Kalkböden vor Auswaschung sicherer sind, dafür aber ein sehr leistungsfähiges Wurzelwerk ausbilden müssen, um die Aufnahme der Stoffe überhaupt leisten zu können.

Lebensbedingungen bei Hochgebirgspflanzen:

Wenn wir im Gebirge unterwegs sind, ist die Waldgrenze für uns die einschneidendste und auffälligste Änderung der Vegetation. Die Waldgrenze liegt etwa bei 1800-2200 Metern.

Schnee und Frost verkürzen die Vegetationsperiode. Man rechnet, dass 100m höher im Gebirge eine Woche weniger Zeit fürs Wachstum bedeuten. Da Fröste aber jederzeit auch im Sommer auftreten können, kann das zu einem zusätzlichen Stillstand des Wachstums führen. Deshalb ist ab einer gewissen Höhe der Waldbewuchs zu Ende. Darüber können nur mehr krüppelige Latschen und kleine Sträucher ein Auslangen finden.

In der Höhe ist die UV-Strahlung intensiver (wie wir nach einem Sonnenbrand in den Bergen aus eigener Erfahrung wissen).

Was in der Ebene oder im Hügelland nicht so stark ins Gewicht fällt, ist hier in der Höhe sehr wesentlich: ob eine Pflanze an einem Südhang oder Nordhang wächst. Das bedeutet ein völlig unterschiedliches Kleinklima selbst bei sonst ähnlichen Bedingungen. Weitere wichtige Faktoren, die das Wachstum der Pflanzen in der Höhe beeinflussen, sind Wind und der damit zusammenhängende Wasserverlust.

Besonders für Bewohner windiger Stellen und auch für Schuttbewohner kommt eine ständige mechanische Beanspruchung dazu. Wind reißt Blätter und gerade neu gebildete Blüten ab, der sich ständig bewegende Schuttkegel kann schon immer wieder Pflanzenteile oder die ganze Pflanze unter sich begraben.

Anpassungen an die harten Lebensbedingungen:

Gegen Frost und die kurze Vegetationsperiode hilft den Pflanzen ihre Geduld. Es gibt nur ganz wenige Blütenpflanzen, die in einem einzigen kurzen Sommer von der Samenkeimung über die Blüte bis zur Samenbildung alles unterbringen. (z.B. Schnee-Enzian Gentiana nivalis).

Die meisten anderen machen es auf eine gemütlichere Art: sie legen Nährstoffreserven an, bereiten Blüten und Blätter im Herbst vor und blühen im darauf folgenden Jahr.


Etliche Pflanzen (Schneeheide, Preiselbeere, Silberwurz, Hauswurz und andere) überwintern mit grünen Blättern, das bringt einen Vorsprung im Frühling nach der Schneeschmelze und hat auch den Vorteil, während einer warmen Periode im Winter assimilieren zu können.

Oder die Blütenknospen werden schon im Herbst ausgebildet, so dass mit der Schneeschmelze bereits Blüten vorhanden sind. Bekannte Beispiele sind Seidelbast (Daphne mezereum), Schneerose (Helleborus niger) und Krokus (Crocus albiflorus).

Gebirgspflanzen sind in der Regel kleiner als ihre Verwandten im Tal, da in der kurzen Wachstumsperiode nicht so viel produziert werden kann, außerdem kann eine kleine Pflanze leichter das günstige Kleinklima nützen (z.B. Windstille hinter einem Stein, warme Luft in geringer Höhe über dem Boden an einem Südhang an einem sonnigen Tag).

Pflanzen schützen sich gegen Strahlung und Austrocknung mittels feiner Behaarung (Edelweiß, Katzenpfötchen), verdickten ledrigen Blättern (Stengelloser Enzian), Wachsüberzug und Verkleinerung der Blätter (Nadeln, Rollblätter, Faltblätter).

Ein anderer strategischer Ansatz ist die Ausbildung von Sukkulenz (Blätter dienen als Wasserspeicher, z.B. bei der Hauswurz).

Pflanzen an windigen Orten, die zugleich auch keine schützende Schneedecke behalten, da der Wind den Schnee wegbläst, gehören zu den widerstandsfähigsten überhaupt (einige Gräser, viele Flechten, Schweizer Mannsschild).

Sobald es dann im Frühling ans Blühen geht, stellt sich heraus, dass die Insekten in größerer Höhe sehr rar sind, es gibt nur ein paar Fliegen, ein paar Hummeln, einige Kleinschmetterlinge, die wichtigsten Bestäuber (einschließlich Bienen) bleiben im Tal. Die Pflanzen mussten sich hier auf andere Strategien verlegen, wie Selbstbestäubung, Brutknospen (z.B. lebendgebärender Knöterich), Brutzwiebel und die Bildung von Ausläufern.

Für die Verbreitung von Blütenstaub ist der Wind im Gebirge zwar untauglich, übernimmt aber eine wichtige Rolle beim Befördern von Samen. Tiere, vor allem Vögel, fressen die Früchte und helfen so, die Samen zu verbreiten.

Pflanzengesellschaften

Alpenpflanzen haben eine Vielzahl von Kleinlebensräumen besiedelt und bilden sogenannte Pflanzengesellschaften, also Gruppen von Pflanzen, die auf die gleichen Umweltbedingungen spezialisiert sind.

Wesentliche Unterschiede werden dabei durch den Boden und die Höhenlage bestimmt.

Beispiele für solche Pflanzengesellschaften sind die Krummseggenrasen (Curvuletum) auf Silikat in 2500-2800 Metern oder die Silberwurz-Polsterseggen (Dryadeto-Firmetum), die wir von den Schutthalden in Kalkgebieten her kennen (2500-2800m).

Eine sehr interessante typische Pflanzengesellschaft der Westalpen ist der Goldschwingelrasen (Festucetum paniculatae), den man auf trockenen warmen Hängen bis etwa 2500m auf Kalk und Silikat findet.

Der bis zu 1m hohe Goldschwingel, eine Grasart, ist zur Blütezeit wahrscheinlich das unscheinbarste Gewächs. Flockenblume (Centaurea nervosa und uniflora), Affodil (Asphodelum album), Weiße Trichterlilie (Paradiseia liliastrum) und narzissblütige Anemone (Anemone narcissifolia) dominieren diese Pflanzengesellschaft.

Typische Pflanzen der Südwestalpen:

Die folgenden Pflanzen sind typisch für die Südwestalpen, kommen aber nicht ausschließlich dort vor und sind nicht als ausgesprochene Raritäten zu bezeichnen. Der Wanderer kann sie zur entsprechenden Jahreszeit leicht finden. Dennoch sind alle erwähnten Arten geschützt.

Das heißt: Fotos und Erinnerung sind die einzigen Andenken, die wir mitnehmen. In unserem eigenen Interesse, weil wir die Pflanzen im nächsten Jahr wieder vorfinden möchten.

Der Alpen-Mannstreu (Eryngium alpinum), der viel seltener als sein Verwandter aus dem Tiefland (Feld-Mannstreu) zu entdecken ist, liebt kalkhaltige Hochstaudenfluren, Wiesen und felsige Weiden über 1500m.

Die Weiße Trichterlilie (Paradiseia liliastrum) ist nach dem italienischen Grafen G. Paradisi, einem Förderer der Botanik benannt und schmückt die Wiesen mit ihren großen trichterförmigen Blüten.

Die Zwiebel der orangefarbenen Feuerlilie (Lilium bulbiferum) fand einst Verwendung als Liebesamulett, die Samen als Kaffeeersatz, die Blüten als Malerfarbe, bis sie völlig unter Schutz gestellt wurde.

Die Türkenbundlilie (Lilium martagon) hat typische purpurfarbene nach hinten gebogene Blütenblätter und wurde früher in der Volksmedizin gegen Nierenleiden und Schwindsucht verwendet.

Der Gelbe Enzian, ist eine auffällige große Pflanze (bis etwa 120cm) mit vielen hellgelben Einzelblüten und wächst auf Kalk in Weiderasen und Hochgrasfluren bis 2500m. Im Mittelalter wurde der Gelbe Enzian gegen Pest, Geschwüre und Wunden, in der Volksmedizin lange gegen Magen - und Darmbeschwerden verwendet. Aus den Wurzelstöcken wurde der bekannte Enzianschnaps gemacht. Diese Pflanze ist ebenfalls streng geschützt.

Die Alpenwaldrebe (Clematis alpina), die mit der Tieflandform (Waldrebe Clematis vitalba) verwandt ist, ist die einzige Liane der Alpen und blüht blau bis blauviolett im Gegensatz zur unscheinbaren Waldrebe.

Die Gemsheide / Alpenazalee (Leuseleria procumbens) ist möglicherweise von Nordamerika über Grönland, Island, Schottland nach Europa eingewandert und kann bis etwa 3000m gefunden werden.

Die Spinnweb-Hauswurz (Sempervivum arachnoideum), ist ein kleines Dickblattgewächs, mit feinen weißen Härchen über die Blattspitzen. Sie kommt an trockenen warmen Standorten auf Silikat vom Tal bis in die alpine Stufe vor und ist geschützt.


Endemische Pflanzenarten:

Die Südwestalpen sind der Lebensraum einer ganzen Reihe von endemischen Pflanzen.

Endemische Arten sind Tier- oder Pflanzenarten, die nur in einem kleinen Gebiet oder auf einer Insel(gruppe) vorkommen, manchmal können das sogar nur ein paar Bergrücken oder Wiesen sein.

Das Überleben dieser Endemiten ist durch veränderte Klimagegebenheiten und den immer stärkeren Eingriff des Menschen in den Bergen sehr gefährdet.

Natürlich können hier nur ein paar wenige auffällige Arten genannt werden.

Berardie (Berardia subacaulis): Die Berardie ist ein gelbblühendes großblütiges Asterngewächs, das praktisch ohne Stängel direkt über dem Boden blüht. Die Blätter sind weißfilzig behaart.

Mercantour-Steinbrech (Saxifraga florulenta): Der Mercantour-Steinbrech ist für einen Steinbrech ungewöhnlich groß, bis 50 cm hoch (mit Blüte) und die Blattrosette kann einen Durchmesser von 20cm haben. Es dauert oft 30-60 Jahre, bis eine Blüte gebildet wird! Oft findet man nur die Blattrosette dieses ungewöhnlichen Gewächses, das steile Silikatspalten in 2000-3000m Höhe bevorzugt. Vorkommen: in den Seealpen.

Allionis Primel (Primula allionii): Die Allionis Primel ist eine sehr niedrige Primel (1-3cm) und blüht rosarot, zwischen März und Juni auf Kalk. Vorkommen: in den Seealpen.

Turbanlilie (Lilium pomponium): Diese orangerote Lilie ähnelt der Türkenbundlilie und kommt nur in den Seealpen auf Kalk bis 1600m vor. Sie ist bereits stark gefährdet.

Allionis Glockenblume (Campanula alpestris): Diese zarte Glockenblume wächst auf Kalk und kalkhaltigen Schiefern in 1400-2800m in den Westalpen.

Eine große Bitte: Nehmen Sie davon Abstand, geschützte Pflanzen oder Teile davon zu beschädigen, auszugraben oder zu entfernen. Wir alle müssen dazu beitragen, dass die (noch) vorhandene Vielfalt erhalten bleibt.

Dr. Irmgard Resch
Homepage: http://members.aon.at/armadillo

Literatur:

Herbert Sauerbier & Wolfgang Langer: Alpenpflanzen - Endemiten von Nizza b. Wien, IHW Verlag 2000

Herbert Sauerbier & Wolfgang Langer: Endemische Pflanzen der Alpen und angrenzender Gebiete, IHW-Verlag, 1997

Herbert Reisigl, Blumenwelt der Alpen, Pinguin Verlag Innsbruck und Prisma Verlag Gütersloh, 1978.